Pjotr Iljitsch Tschaikowskij

Eugen Onegin

Lyrische Szenen in drei Aufzügen

Personen

Larina, Gutsbesitzerin (Mezzosopran)

Tatjana (Sopran),
Olga (Alt), deren Töchter

Filipjewna, Wärterin (Mezzosopran)

Eugen Onegin (Bariton)

Lenski (Tenor)

Fürst Gremin (1. Baß)

Ein Hauptmann (2. Baß)

Saretzki (2. Baß)

Triquet, ein Franzose (2. Tenor)

Guillot, Kammerdiener (Stumme Person)

Landleute, Ballgäste, Gutsbesitzer, Offiziere

Die Handlung spielt teils auf einem Landgute, teils in St. Petersburg, im zweiten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts.

Erster Aufzug.

Erstes Bild.

Das Theater stellt einen Garten vor. Links ein Haus mit Terrasse, rechts ein schattiger Baum, ringsum Blumenbeete. Im Hintergrunde ein zerfallener Zaun, hinter welchem durch dichtes Grün das Dorf und die Kirche zu sehen sind. Es dunkelt.

Frau Larina sitzt unter einem Baume und kocht Früchte ein, dem Gesange ihrer Töchter zuhörend. Filipjewna steht neben ihr, dabei helfend. Beim zweiten Couplet des Duetts zwischen Tatjana und Olga beginnen beide Frauen ein Gespräch.

Durch die geöffnete Tür des Hauses hört man Gesang.

TATJANA UND OLGA.
Habt ihr's gehört? Im Hain der Sang ertönt
Der Nachtigall, bald freudig, bald in Klagen!
Der Liebe gilt ihr süß holdselig Schlagen,
Und die Schalmei erklingt so traurig bang.
Habt ihr's gehört?

Schlug nicht das Herz, wenn ihr Gesang erscholl,
Der Sehnsucht atmet und der Lieb‘ Verlangen,
Wenn der Geliebte kam den Wald gegangen,
Ward nicht von Seligkeit die Brust euch voll!
Schlug nicht das Herz?
LARINA.
Kennst du das Lied, das sie jetzt singen?
Vor vielen Jahren hab‘ auch ich's,
Besinnst du dich? gar oft gesungen.
FILIPJEWNA.
Ja, damals waren wir noch jung.
LARINA.
Ich las Romane mit Vergnügen.
Ach ja, das Lesen liebte ich,
Weil es mit süßem Gift die Seele,
Das Herz allmählich mir erfüllte.
Ja damals war's, da sah ich ihn.
Ach der Roman, das süße Gift!
FILIPJEWNA.
O, ich vergaß nicht! Ein Bräutigam hat Ihre Hand besessen,
Doch nicht Ihr Herz; ein andrer war's, der Ihren Sinn
Und der Ihr Herz gefangen hielt.
Seht, hab‘ ich doch noch nichts vergessen.
LARINA.
Ein Offizier, als Lebemann bekannt,
Ich liebte ihn.
FILIPJEWNA.
Doch der war Ihnen nicht bestimmt.
LARINA.
Ihm nur galt all mein Tun und Lassen,
Man trennte uns trotz Widerstand;
Ich konnte kaum es fassen.
FILIPJEWNA.
Er nahm Sie mit sich auf das Land,
Sie ließen's still mit sich geschehen.
Sie schienen anfangs wie vernichtet.
Allein das Wunder, daß Sie froh geworden!
Ja die Arbeit nur hat das verrichtet.
Gewohnheit ist ein süßer Schatz
Und für verlornes Glück Ersatz.
LARINA.
Von Trauer war ich erst erfüllet,
Ich seufzte, wünschte mich ins Grab,
Bis mir die Wirtschaft Ruhe gab.
Gewohnheit neu mich aufgerichtet!
Der Himmel läßt uns für das Glück
Gewohnheit als Ersatz zurück.
Jedoch dahin Roman und Liebe,
Vergessen ward die Schwärmerei vergangner Zeiten.
Ja die Arbeit vieles uns ersetzt.
FILIPJEWNA.
Freilich, jene Stunden schwanden in die Ferne,
Und bald vergessen sind sie jetzt.
Ja die Arbeit vieles uns ersetzt.
LARINA.
Es ward mir in der Ehe Frieden
Ein ruhig Los dafür beschieden.
Der Himmel läßt oft für das Glück,
Ja für verlornes Glück Zufriedenheit zurück.
FILIPJEWNA.
Es ward in Ihrer Ehe Frieden
Ein stilles Glück dafür beschieden.
Der Himmel läßt oft für das Glück,
Ja für verlornes Glück Zufriedenheit zurück.

Hinter der Szene Chor der Landleute, der sich allmählich nähert.

Nr. 2. Chor und Tanz der Schnitter.

VORSÄNGER.
Nicht streift mehr mein Fuß durch Wald und Feld
Ohne Ruh‘ und Rast.
CHOR.
Nicht streift mein Fuß ohne Ruh‘ und Rast.
VORSÄNGER.
Nicht hebt mehr mein Arm am schwülen Tag
Die gewohnte Last.
CHOR.
Nicht hebt mein Arm die gewohnte Last.
Was pochst du, mein törichtes Herz, so laut
Und lang in stürmischer Hast?
Was fange ich an,
Da ich dich nicht lassen kann?

Die Bauern treten mit geschmückter Garbe ein.

Glück und Segen dir wünschen wir,
Teure Herrin, an diesem Tag!
Sieh, unsre Ernte ist heut geglückt,
Nimm als Geschenk diese Garbe, so reich geschmückt!
Alles ist eingebracht.
LARINA.
Nehmt meinen Dank! Seid willkommen in meinem Haus!
Laßt froh uns sein, und singt ein lustig Lied!
CHOR.
Wie gern, Gebieterin, erfüllen wir deinen Wunsch!
Es soll ein Lied erklingen,
Ihr Mädchen, laßt uns ein lustig Liedchen singen.

Während des Gesanges tanzen die Schnitterinnen mit der Garbe.

Durch das Feld da fließt ein Bächlein,
Übern Bach da führt ein Steglein,
Führt zu einem kleinen Gärtlein,
Und im Garten sitzt ein Mägdlein.

Wer kommt übern Steg gegangen,
Blond die Locken, rot die Wangen,
Ohne Furcht und ohne Bangen?
Hüt‘ dich, Mägdlein, wirst gefangen!

Spielmann ist's, er kommt gezogen,
Seiner Fiedel, seinem Bogen
Kommen Herzen nachgeflogen;
Alle Welt ist ihm gewogen.

Mägdlein hört die Geige klingen,
Hört den muntern Spielmann singen,
Tief ins Herz die Lieder dringen
Auf der Liebe mächt'gen Schwingen.

Liebchen, schläfst du oder wachst du?
Mädchen, weinst du oder lachst du?
Zögre länger nicht! Was machst du?
Komm doch, einen Kuß versprachst du.

Eh‘ noch Spielmann ausgesungen,
Eh‘ der letzte Ton verklungen,
War ihm seine List gelungen,
Mädchen kam zu ihm gesprungen.

Wie die Blüten an den Zweigen
Alle vor dem Wind sich neigen,
Also nahmst mit deinem Geigen
Du mein Herz dir ganz zu eigen.

Nr. 3. Szene und Arie der Olga.

Während des vorhergehenden Chors sind Tatjana, mit einem Buch in der Hand, und Olga auf der Terrasse erschienen.

TATJANA.
Ich folge gern beim Klange dieser Lieder
Dem Spiel der Phantasie, die mich entrückt
Ins Weite fern dahin.
OLGA.
Ach Tatjana, du träumst am lichten Tag!
Nicht gleich‘ ich dir darin; sei heiter doch
Und tanz‘ mit mir bei diesem Lied.

Olga, tanzend und die Mutter liebkosend, singt, in den Vordergrund tretend, die folgende Arie. Larina, Tatjana und Filipjewna umringen sie.

OLGA.
Durch das Feld da fließt ein Bächlein,
Übern Bach da führt ein Steglein.

Zum schwermutvollen, stummen Sehnen,
Zum Träumen fühl‘ ich keinen Hang,
Ich habe nie des Nachts mit Tränen
Geseufzt mit Ach und Weh aus tiefstem Herzensdrang.
Warum auch seufzen, wenn jeden Morgen
Ein neuer, froher Tag beginnt?
Mutwillig bin ich, kenn‘ keine Sorgen,
Und alle nennen mich »das Kind«.
Leben genießen, eh‘ die Jugend floh,
Die Sorgen fliehen, das nur macht uns froh.
Ich gleich‘ der leicht beschwingten Hoffnung
An Frohsinn, Heiterkeit und Lust.

Nr. 4. Szene.

LARINA Filipjewna und Tatjana treten zur Seite.
O du, mein kleiner Liebling,
So ausgelassen lustig und so froh!
Ich glaub‘, am liebsten würdest du jetzt tanzen.
Hab‘ ich recht?
FILIPJEWNA.
Tanuscha, sag‘ Tianiuscha, fehlt dir was?
Du siehst so leidend aus.
TATJANA.
Nichts fehlt mir, sei nur ruhig.
LARINA zum Chor.
Habt Dank für den Gesang, ihr lieben Leute,
Und geht nun dort hinein.
Filipjewna, versorge reichlich sie mit Wein.
Habt Dank für heute.

Tatjana setzt sich auf die Stufen der Terrasse und vertieft sich in ein Buch. Filipjewna ab mit den Landleuten.

CHOR DER SCHNITTER.
Dir, Herrin, danken wir.

Ab.

OLGA.
Ach Mutter, sehen Sie doch nur Tatjana.
LARINA.
Wieso? Wahrhaftig, du bist blaß, mein Kind!
TATJANA.
Ich sehe aus wie immer,
Sei'n Sie nicht ängstlich, Mutter!
O wie int'ressant ist das Buch, das ich lese!
LARINA.
So bist du deshalb traurig?

Lacht.

TATJANA.
Ja, Mutter, mich bewegt das Buch zu Tränen,
Der Liebe ganz vergeblich Sehnen
Macht das Herz mir schlagen.
Ach, ich muß sie beklagen.
Maßlos ist ihr Leiden.
LARINA.
Grad so, Tania, so ging's auch mir einmal,
Als dieses Buch bewegte meine Seele.
Doch glaub‘, Erdichtung ist's, Roman ist's nur,
Im Alltagsleben ist von solch edlen Wesen keine Spur.
OLGA.
Nun Mütterchen, da stehen Sie
Und plaudern, und vergessen selbst die Schürze.
Ei, was nur Lenski dazu sagen wird!

Lacht. Larina bindet eilig ihre Schürze los.

Horch, einen Reiter hör‘ ich, Lenski ist's!
LARINA.
Ja wirklich!
TATJANA.

Von der Terrasse herabschauend.

Und nicht allein!
LARINA.
Wer mag es sein?
FILIPJEWNA eilig auftretend mit einem Diener.
Herr Lenski ist's. Soeben trat er ein mit Herrn Onegin.
TATJANA.
Ach! ich eile, ich muß fort!
LARINA Tatjana will fortlaufen, Larina hält sie zurück.
Wohin, Tatjana? Was soll man denken!
Bleibe doch; die Haube sitzt mir verkehrt.

Filipjewna ordnet den Anzug Tatjanas, dann ab, ihr Mut zuwinkend.

OLGA zu Larina.
So laß die Herren ein!
LARINA zum Diener.
Geschwind, und laß sie ein.

Der Diener ab. Alle sind in Aufregung des Empfanges der Gäste.

Nr. 5. Szene und Quartett.

Onegin und Lenski treten auf. Lenski küßt der Larina die Hand und grüßt die Mädchen ehrerbietig.

LENSKI.
Mesdams, verzeihen Sie meine Kühnheit!
Ich habe meinen Freund und Ihren Nachbar Onegin mitgebracht.
ONEGIN.
Darf ich es wagen?
LARINA verwirrt.
Erfreut sind wir, Sie hier zu sehn, willkommen;
Hier meine Töchter.
ONEGIN.
O! sehr erfreut bin ich.
LARINA.
Solln wir ins Zimmer gehn? ganz nach der Herr'n Belieben,
Wir können auch im Freien bleiben.
Ich bitte, ganz nach der Herr'n Belieben, wir sind Nachbarn,
Bedarf es da der Förmlichkeit?
LENSKI.
Wie schön ist's hier, ich liebe diesen alten, schattenreichen Garten,
Er ist so traulich!
LARINA.
Entschuldigt, ins Haus eil‘ ich, zu sehn,
Daß es an nichts mag fehlen,
Die Gäste zu bewirten.

Geht ab, Tatjana bedeutend, nicht scheu zu sein. Lenski und Onegin nach rechts, Olga und Tatjana gegenüber.

TATJANA.
Er ist's, den längst mein Herz ersehnte,
Ich fühl‘ es, er nur kann es sein,
Den ich im Traum zu sehen wähnte.
O! Er nur, er ist's, er allein.
Ein Schleier fällt von meinen Blicken,
Es weicht die Nacht
Vor seines Bildes Zauberpracht.
OLGA.
Es wird Onegins plötzliche Erscheinung
In unserm Haus bedeutungsschwer
Für alle Nachbarn, deren Meinung
Geteilt war, man rät hin und her,
Man mutmaßt vieles im geheimen,
Doch niemand kann so recht sich reimen,
Was wirklich an der Sache war,
Doch sicher gibt es bald ein Paar.
ONEGIN.
Sag‘, wer von beiden ist Tatjana?
LENSKI.
Da jene ist's, mit dunklem Haar,
So schön und schweigsam wie Swätlana!
ONEGIN.
Denn sie zu kennen drängt es mich,
Du hast mehr Liebe für die Zweite?
LENSKI.
Und wenn?
ONEGIN.
Wär‘ ich Poet, ich weihte
Mein Herz der andern wohlgemut.
Dem Antlitz Olgas fehlt die Glut,
Es gleicht dem Muttergottesbilde.
So mild und rein, doch leblos ganz,
Gleich wie des stillen Mondes Glanz
Erstrahlt es himmlisch rein in kalter Milde.
LENSKI.
Wohl paßten mehr im Stoff zusammen
Granit und Welle, Eis und Flammen,
Die Prosa und des Dichters Kraft,
Als wie das seltne Freundespaar.

Lenski geht zu Olga. Onegin betrachtet ziemlich ungeniert Tatjana, die mit zu Boden gesenkten Augen dasteht; dann geht er zu ihr und unterhält sich mit ihr.

Nr. 6. Szene und Arioso des Lenski.

LENSKI lebhaft.
O Wonne, o Seligkeit, ich seh‘ dich endlich wieder!
OLGA.
Mir scheint, wir sahen uns doch gestern erst!
LENSKI.
Das wohl, doch meiner Liebe
Dünkt ein Tag schon eine Ewigkeit.
OLGA.
Ewigkeit, o welch ein überschwenglich Wort
Für diese kurze Zeit.
LENSKI.
Ja, eine Ewigkeit war's, von dir getrennt zu sein.
ONEGIN zu Tatjana gewendet mit kalter Höflichkeit; Lenski und Olga gehen vorüber.
Bedrückt Sie wie die Ruhe hier die Einsamkeit
An diesem stillen Ort, der zwar sehr schön, doch abgelegen?
Es scheinet mir, als fehl‘ es hier fast gänzlich an Zerstreuung?
TATJANA.
Nun, ich lieb‘ zu lesen.
ONEGIN.
Wenn auch.
Das Lesen gibt uns reichlich Nahrung für Herz und Geist,
Doch wird man leider auch des Lesens müde.
TATJANA.
Im Garten weil‘ ich gern und träume.
ONEGIN.
Und was veranlaßt Sie zu träumen?
TATJANA.
Ein schwärmerisches, ernstes Wesen war eigen mir von Kindheit an.
ONEGIN.
Den starken Hang zur Schwärmerei begreif‘ ich.
Vorzeiten war auch ich Phantast.

Onegin mit Tatjana nach der andern Seite. Lenski kommt mit Olga.

LENSKI inbrünstig, leidenschaftlich.
Meine Liebe, Olga, sie ist dein,
Wie all mein sehnend heiß Empfinden.
Mein liebend Herz ist dein allein,
Laß mich es dir aufs neu‘ verkünden;
Nur dein bin ich, ja ganz allein.
Als Kind schon fühlt‘ ich mich gefangen,
War dir mein Herz schon zugewandt,
Wenn du beim Spiel mit glühnden Wangen
So herzlich lachtest und so gern,
Mit dir im Waldesschatten weilt‘ ich,
Und mit dir deine Spiele teilt‘ ich.
Ja ich liebe dich, ja ich liebe dich
Mit des Dichters heißem glühenden Empfinden,
Laß aufs neue dir verkünden,
Wie du all mein Denken, Wähnen,
All mein Sinnen, all mein Sehnen.
Ja ich liebe dich mit einer Kraft,
Die keinem Schmerz und keiner Freude weicht,
Sich keiner Zeit und Trennung beugt,
Die keine Zeit verweht,
Mit einer Leidenschaft und Glut, die nie erlischt.
Ja ich liebe dich,
Dein ja ist mein Herz allein!
OLGA.
Wir wuchsen auf in Einsamkeit,
Zusammen teilend Freud‘ und Leid.
Der Eltern Wunsch, als wir noch klein,
War ihrer Kinder Glück allein.

Larina und Filipjewna erscheinen auf der Terrasse. Es wird dunkler, bei Schluß des Bildes Nacht.

Nr. 7. Schlußszene.

Onegin und Tatjana kommen. Filipjewna, ihnen folgend, bemüht sich zu horchen. Langsam über die Szene gehend, singt Onegin die folgende Phrase, beim letzten Worte derselben auf der Terrasse angelangt. Tatjana immer noch in derselben verlegenen Haltung.

ONEGIN.
Mein Oheim ging auf Gottes Wegen,
Als seine schwere Krankheit kam,
Er ließ sich weidlich hätscheln, pflegen,
Und das war klug von ihm, man nahm
An ihm ein Beispiel sich zum Heile.
Doch Himmel! welche Langeweile,
Beim Kranken sitzen Tag und Nacht!
Nicht aufstehn, ob er schläft, ob wacht!
FILIPJEWNA.
Ei, ei, mein Täubchen, gesenkt das Köpfchen,
So gehr sie stumm und wagt nicht aufzublicken,
Zu schüchtern ist sie, oder sollte
Am Ende gar der junge Mann sie int'ressieren?

Ab, nachdenklich den Kopf schüttelnd.

Vorhang.

Zweites Bild.

Einfaches Zimmer Tatjanas. Weiße, mit Kattun beschlagene altmodische Möbel, ebensolche Vorhänge. Ein Bett, darüber ein Bücherbrett. Kommode, weiß bedeckt, darüber ein Spiegel, Vasen mit Blumen. Am Fenster ein Tisch mit Schreibzeug.

Nr. 8. Introduktion und Szene.

Beim Aufgehen des Vorhanges sitzt Tatjana vor dem Spiegel in Gedanken versunken; Filipjewna steht neben ihr. Tatjana in weißem Nachtgewande.

FILIPJEWNA.
Ei, wie die Zeit verrinnt, schon spät ist's, Tjana,
Früh soll ich morgen dich zur Messe wecken,
Zu Bett geschwind.

Tatjana erhebt sich träge, setzt sich aufs Bett. Die Wärterin liebkost sie.

TATJANA.
Mich flieht der Schlaf! dumpf und schwül ist's,
Das Fenster öffne, setz‘ dich zu mir.
FILIPJEWNA öffnet das Fenster, setzt sich dann auf einen Stuhl neben Tatjana.
Tanja, was ist mit dir?
TATJANA.
Ich weiß nicht; erzähl‘ mir was aus alter Zeit.
FILIPJEWNA.
Wovon denn, Tjana? manche Sagen
Und Märchen aus vergangnen Tagen
Von Mägdlein und Prinzen, die sich vermählt,
Hab‘ ich wohl früher oft erzählt.
Doch heut wär's ein vergeblich Fragen,
Was ich gewußt, vergaß ich, weit,
Wie weit liegt jene schöne Zeit
Vorüber.
TATJANA.
Sag‘ mir dies noch, Liebste:
Hast du denn nie in jener Zeit
Empfunden junger Liebe Leid?
FILIPJEWNA.
Gewiß, Tatjana, ja ich liebte,
Doch nie hätt‘ zu zeigen ich gewagt.
Denn man war in solchen Dingen
Strenger noch als heutzutage.
TATJANA.
Wie kam es dann zu deiner Ehe?
FILIPJEWNA.
Gott hat's gewollt, daß es geschehe.
Ich zählte damals achtzehn Jahr,
Mein Bräutigam noch jünger war.
Nicht braucht‘ er lang um mich zu werben,
Da er der Eltern Beifall fand.
Der Vater gab ihm meine Hand.
Vor Gram vermeinte ich zu sterben,
Mit Tränen löste man mein Haar,
Und führt‘ mich singend zum Altar.
Dann kam ich unter fremde Leute …
Du läßt mich schwatzen, hörst nicht zu!
TATJANA die Wärterin umarmend, mit hinreißender Leidenschaft.
Ach Teure, wüßt‘ ich nur zu sagen, was ich leide,
Wie ich vergeh‘ vor Angst und Qual.
Die Tränen fließen immer wieder.
FILIPJEWNA.
O Gott, mein Kind, beruhige dich.
Barmherz'ger Heiland, steh ihr bei!
Vertrau‘ auf Gott, 's wird alles gut noch enden.
Werd nur nicht krank!
TATJANA.
Ich bin nicht krank; und wissen sollst du:
Ich bin verliebt, … verliebt bin ich.
Verrat mich nicht! ich bin verliebt!
FILIPJEWNA.
Was sagst du?
TATJANA.
So laß mich nun allein.
Reich‘ mir Papier und Feder.
Den Tisch rück‘ her, und dann geh schlafen!
FILIPJEWNA.
Ach schlaf nur gut, Tatjana!

Ab.

Nr. 9. Briefszene.

TATJANA bleibt lange in Gedanken versunken, erhebt sich dann in heftiger Bewegung mit dem Ausdruck fester Entschlossenheit.
Und wär's mein Untergang, erfahren
Will ich zuvor, was in mir seit Jahren
Verschwiegne Herzenswünsche fragen,
Die ungestüm ans Licht sich wagen.
Ich schlürf‘ das Zaubergift Verlangen,
Mich hält der Sehnsucht Bann gefangen,
Ich seh‘ ihn stets, an jedem Ort
Folgt mir sein Blick und Wort.

Geht zum Schreibtisch und setzt sich, schreibt, dann hält sie inne.

Nein, das ist nichts, aufs neu‘ beginn‘ ich.

Sie zerreißt den Brief.

Wie sonderbar! so schwer wird mir's,
Ich weiß nicht, wie beginnen!

Schreibt; hält inne und durchliest das Geschriebene.

»Ich schreib‘ an Sie ohn‘ all Bedenken!
Ist damit nicht genug gesagt?
Sie können ungestraft mich kränken,
Ich beug‘ mich wehrlos Ihrer Macht.
Doch glimmet für mein traurig Los
Ein kleines Fünkchen Mitleid bloß,
So werden Sie mich nicht verlassen.
Erst wollt‘ ich mein Geheimnis wahren,
Und nimmer, nimmer tät‘ mein Mund
Des Herzens Sehnen Ihnen kund …«

Den Brief beiseite legend.

Nimmermehr!
O tief im Herzen soll's verschlossen sein,
Von andern ungeahnt, soll's lodern, brennen!
Doch ach! vernichtend dringet alles auf mich ein.
Nicht kann gebieten ich dem Herzen mein!
Mag kommen, was da will! Wohlan, ich will's bekennen!

Schreibt.

»Was führte Sie in unsre Einsamkeit?
Was war's? Welch Wünschen, welch Verlangen?
Ersparet wär‘ mir alles Leid,
Ersparet alles Hoffen, Bangen.
Der unerfahrnen Seele Wallen
Hätt‘ wohl dereinst geheilt die Zeit,
Es hätt‘ ein andrer mir gefallen,
Ich hätte ihn geliebt vor allen,
Des Hauses Pflichten mich geweiht …«

Nachdenkend, plötzlich aufstehend.

Ein andrer! Nein, einem andern kann im Leben
Mein Herz sich nimmer weihn.
Vom Schicksal ward es so gegeben.
Dein bin ich, dein, ja ewig dein.
Nicht hat das Schicksal mich verblendet,
Das sel'ge Hoffnung einst mir gab.
Ja Gott hat dich zu mir gesendet,
Mein Hort bist du bis an das Grab.
Du bist mir oft im Traum erschienen,
Und ungekannt schon liebt‘ ich dich.
Dein holder Blick betörte mich,
Und deiner Stimme mußt‘ ich dienen.
Schon längst … Nein, nein, es war kein Traum,
Du tratest ein, ich sah dich kommen,
Mein Herzblut stockte, ich erglühte,
Und freudig rief's in mir: Er ist's!
Und leise sprachst du mir zum Herzen,
Ich fühlte deinen Geist genaht.
Wenn ich gelabt die Armen,
Kranken, wenn meine Seele um Erbarmen
Zum Himmel bat.
Du warst's, den ich beständig hörte,
Der all mein Sinnen mir betörte,
Des mich eingewiegt zur Nacht;
Dem ich in Liebe ganz ergeben,
Der mich erweckt zu neuem Leben
Und holdes Hoffen angefacht.

Sie geht an den Tisch und setzt sich wieder zum Schreiben, innehaltend, wie überlegend.

Sag‘, willst als Schutzgeist du mir dienen?
Bist als Versucher du erschienen?
Gib Antwort, lös‘ die Zweifel mir.
Hat mich das Traumgesicht betrogen,
Fand ich ein Trugbild nur in dir?
Ist all die Seligkeit gelogen?

Steht wieder auf und geht sinnend umher.

Ich füge mich, mein Schicksal –
An das Traumgesicht ist es gebunden.
Du bist mein Sehnen, bist mein Glück,
Durch dich allein werd‘ ich gesunden.
Bedenke nur, ich bin allein!
Und niemand kann mich hier verstehen.
Und hilflos muß ich untergehen,
Wenn du nicht willst mein Retter sein.
Ich bau‘ auf dich, du mußt mir glauben.
Ein einzig Wort des Trostes sprich,
Das mich befreit, errette mich,
Sonst wird ein einzig Wort den Traum mir rauben.

Geht schnell zum Tisch und beendet den Brief hastig. Aufstehend versiegelt sie den Brief.

Ich schließe. O verstoß mich nicht,
Mißbrauche nimmer mein Vertrauen.
Auf dich, du holdes Traumgesicht,
Auf deine Ehre will ich bauen.

Nr. 10. Szene und Duett.

Tatjana geht ans Fenster und schlägt die Gardine zurück. Tageslicht dringt ins Zimmer.

TATJANA.
Ach! es weicht das Dunkel dem Morgenrot,
Und alles rings erwacht.

Setzt sich zum Fenster.

Des Hirten Flöte – sonst alles still …
Ich armes Mädchen!

Sie versinkt in Sinnen. Die Wärterin tritt ein durch die behutsam geöffnete Tür.

FILIPJEWNA ohne Tatjana zu bemerken.
Tanja, 's ist Morgen längst!

Bemerkt Tatjana.

Sehn meine Augen wirklich recht,
Mein Kind, so früh bist du schon auf?
Du sahst recht leidend gestern aus.
Sag‘, geht dir's heute gut, mein Liebling?
Die Ruhe hat getilgt den Schmerz,
In süßem Traum beglückt dein Herz.

Tatjana tritt vom Fenster zurück und ergreift den Brief.

TATJANA.
Ach Teure, tu mir den Gefallen.
FILIPJEWNA.
Ja, ja, mein Herzchen, sag‘, was willst du?
TATJANA.
Denk ja nicht, daß ich etwa schriebe,
Doch hörst du, laß mich nicht im Stich.
FILIPJEWNA.
Du weißt, stets lenkte mich dein Wille.
TATJANA.
Send deinen Sohn in aller Stille
Mit diesem Brief zu O … Zum Herrn …
Zum Nachbar hin; doch hätt‘ ich gern,
Daß niemand in der Welt erfahre,
Von wem der Brief, und wer ihn hingesandt.
FILIPJEWNA.
Wohin, sprich, wen hast du genannt?
Verzeih und denk an meine Jahre.
Gar viele Nachbarn gibt es hier,
Nicht aufzuzählen sind sie schier.
TATJANA ungeduldig.
Ach wie du schwer doch von Begriffen.
FILIPJEWNA.
Mein Schatz, vergiß nicht, ich bin alt,
Das Alter faßt nicht wie die Jugend,
Denn früher faßt‘ ich alles bald,
Ja früher, da war mir um Antwort niemals bang.
TATJANA.
Ach Liebe, das, was ich verlange,
Das läßt sich wahrlich leicht verstehn,
Den Brief hier sollst du mir besorgen gehn!
So bring den Brief zu unserm Nachbarn hin.
FILIPJEWNA.
Sei wieder gut und zürne nicht, mein Kind,
Vergeßsam alte Leute sind.
Ja, nun begreif‘ ich's, verlaß dich drauf!
Mein Gott! du wirst ganz blaß, Tatjana!
TATJANA.
Sorg‘ dich nicht und denk nicht drüber nach.
Schick‘ nur den Brief zum Nachbar hin!

Nachdem die Wärterin den Brief genommen, steht sie noch immer in Zweifel. Tatjana bedeutet sie, zu gehen. Die Wärterin geht, an der Tür steht sie still, überlegt, kommt wieder zurück. Endlich gibt sie zu verstehen, daß sie begriffen habe, und geht ab. Tatjana setzt sich an den Tisch, den Kopf in die Hand gestützt, versinkt in Nachdenken.

Vorhang.

Drittes Bild.

Die Szene stellt einen andern Teil des Gartens im Larinschen Hause dar, dichte Holunder- und Akaziensträuche, eine alte Bank, schlecht gepflegte Beete, Mägde, welche Beeren sammeln, sieht man zwischen dem Strauchwerk.

Nr. 11. Chor der Mädchen

CHOR DER MÄDCHEN zwischen dem Strauchwerk im Hintergrunde der Bühne.
Kommet, Mädchen, allzuhauf,
Kommet, all in eil'gem Lauf,
Höret, wie der Spielmann geigt,
Kommt, eh‘ seine Fiedel schweigt.
Hebt die Füßchen, tanzet froh,
Brennt's im Herzen lichterloh,
Singt von Wonne, Lust und Lieb‘,
Singt von eurem Herzensdieb.
Singt und lockt mit eurem Sang
Bei der Fiedel hellem Klang,
Jeden Burschen schmuck und frei,
Locket alle sie herbei.
Und wenn dann ein Falscher kommt,
Der uns nicht besonders frommt,
Nehme der sich wohl in acht,
Wird verhöhnt und ausgelacht.

Nr. 12. Szene und Arie des Onegin.

TATJANA kommt schnell gelaufen und sinkt erschöpft auf eine Bank.
Er ist's, Onegin! O Himmel, wie begegn‘ ich ihm!
Was denkt er nur!
Ach, warum folgt‘ ich doch dem ungestümen Blut,
Wo fand mein armes Herz nur den Mut,
Onegin diesen Brief zu senden!
Bang klopft das Herz, wie soll das enden,
Und eine innre Stimme spricht:
Es war umsonst, er liebt dich nicht!
Hilf, gnäd'ger Gott, hilf mir im Unglück,
Verlaß mich nicht! Doch wie? Wer kommt?
Es ist sein Schritt! Er ist's!

Onegin tritt auf. Tatjana springt auf. Eugen geht auf sie zu. Sie läßt den Kopf sinken.

ONEGIN würdig, ruhig, kalt.
Sie schrieben mir, wozu es leugnen?
Sie gestanden voll Vertrauen wahr und offen
Der reinen Seele keusches Hoffen.
Ich ehre diese Offenheit,
Und das Gefühl, das Sie erneut,
Im Herzen mir schien längst gestorben,
Nun werd‘ auch Ihnen sonder Weil‘
Ganz das Vertrau'n dem selbst zuteil,
Das Ihr Vertrau'n sich hat erworben
Erst meine Beichte ohne Trug,
Dann fällen Sie den Urteilsspruch.
TATJANA.
O Himmel, welche Kränkung, und wie peinlich.

Setzt sich auf eine Bank.

ONEGIN.
Wenn mich für Häuslichkeit auf Erden
Bestimmt ein glückliches Geschick,
Um Gatte, Vater einst zu werden,
Ich zögert‘ keinen Augenblick.
Sie gleichen meinem Ideal,
Nie träf‘ ich eine andre Wahl!
Doch bin ich nicht zum Glück geboren,
Mein Herz liegt mit sich selbst im Streit,
Und unnütz wäre und verloren
Für mich all Ihre Trefflichkeit!
Ja, glauben Sie, der Eh'stand würde
Uns beiden bald zur Qual und Bürde,
Vor Lieb‘ mein Herz heut glüht und wallt,
Gewohnheit macht es morgen kalt.
Der Wonnen wenig, viel der Schmerzen
Beut Hymen uns mit seinem Zwang,
Und dulden heißt's, wer weiß wie lang!
Es schwinden Jahre, Träume, Liebe,
Sie schwinden ohne Wiederkehr!
Und wenn Ihr Herz auch treu sich bliebe
Und seiner Liebe rein und hehr, das meine wär‘.
Die Zukunft wird einst recht mir geben,
Die Liebe ist im Menschenleben
Stets Täuschung, Spiel der Phantasie!
Drum lernen Sie sich überwinden,
Die leichte Unerfahrenheit
Führt oft zu schwerem Weh und Leid!
CHOR DER MÄDCHEN unsichtbar hinter der Szene.
Kommet, Mädchen, allzuhauf,
Kommet all in eil'gem Lauf,
Höret, wie der Spielmann geigt,
Kommt, eh‘ seine Fiedel schweigt.

Chor entfernt sich allmählich. Onegin reicht Tatjana die Hand. Sie sieht ihn lange flehenden Blickes an, erhebt sich dann mechanisch und geht, sich auf ihn stützend, still ab.

Singt und lockt mit eurem Sang,
Bei der Fiedel hellem Klang,
Jeden Burschen schmuck und frei,
Locket alle sie herbei.
Und wenn dann ein Falscher kommt,
Nehme der sich wohl in acht,
Wird verhöhnt und ausgelacht.

Vorhang.

Zweiter Aufzug.

Erstes Bild.

Das Theater stellt einen erleuchteten Saal im Larinschen Hause vor. In der Mitte ein Kronleuchter. An der Seite Wandleuchter Gäste in altmodischem Ballstaat, darunter Militär in der Uniform der zwanziger Jahre, tanzen Walzer. Die Alten mit Vergnügen zuschauend, sitzen in Gruppen. Die Mütter mit Ridiküls nehmen die längs den Wänden stehenden Stühle ein, Onegin und Tatjana, Lenski und Olga nehmen am Tanze teil. Larina mit besorgter Hausfrauenmiene auf und ab gehend.

Nr. 13. Zwischenakt und Walzer mit Chor.

CHOR.
Welch Festesglanz,
Wie froh sind alle Gäste!
Es ladet uns zum schönen Feste
Mahl und Tanz.

Ergötzet euch,
Heil allem Schönen,
Ein Hoch dem Fest ertönen
Laßt sogleich!
ÄLTLICHE GUTSBESITZER.
Hier auf dem Lande erleben wir selten
Solch eines Balles berauschende Pracht.
DIE ÄLTEREN DAMEN.
Und kehren sie von dem Jagen dann wieder,
Durch Felder und Wälder, aus Tälern und Höh'n,
Dann sind sie ermüdet und legen sich nieder,
Uns bleibt nur die Sorge, das Haus zu versehn.
DIE JUNGEN DAMEN umringen den Hauptmann.
Ach, Trifon Petrowitsch, wie ist's doch so reizend,
Wie danken von Herzen wir …
Doch tanzen nun wollen wir!
DER HAUPTMANN.
Bitte sehr, ich selbst bin ganz glücklich …
Steh‘ gerne zu Diensten, so fangen wir an!

Onegin tanzt mit Tatjana. Die andern hören auf zu tanzen und beobachten das Paar.

DIE ÄLTEREN DAMEN.
Sehet doch, sehet doch, die Täubchen, sie tanzen!
Da gibt es ein Brautpaar, nun ist es Zeit!
's ist schad‘ um Tatjana; erst wird er scharmieren,
Dann tyrannisieren; man sagt auch, er spielt!

Onegin geht langsam bei den älteren Damen vorüber, um ihr Gespräch zu belauschen.

Ist ungebildet, er spricht sinnlos,
Und küßt den Damen nie die Hand,
Ist Freimaurer gar, trinkt Rotwein nur,
Und anders nicht als gläserweis‘.
ONEGIN.
Ist das ein Urteil! schon allzuviel
Verriet mir boshafter Zunge Verleumdung!
Aber recht nur geschah mir! Weshalb nur trieb's mich
Auf diesen faden Ball? Weshalb?
Nie dank‘ ich dir, Wladimir, diesen Bärendienst.
Ich tanze jetzt mit Olga,
Da ist sie … Ich bitte!

Olga ist unentschlossen.

LENSKI.
Sie hatten mir den Tanz bestimmt!
ONEGIN.
Ein Irrtum muß es sein.

Onegin und Olga tanzen.

LENSKI.
Ach, wirklich also! kaum glaublich scheint es!
Olga! Nein, unmöglich ist's!
CHOR.
Hoch die Freude, welch schönes Fest!
Welch ein Glanz, wie herrlich!
Hoch die Freude, welch schönes Fest!
Welch ein Mahl, wie herrlich!
Wie prächtig ist das Fest!
Hoch die Freude, welch Festesglanz!
Wie froh sind alle Gäste!
Es ladet uns zum schönen Feste
Mahl und Tanz.
Ergötzet euch! Heil allem Schönen!
Ein Hoch, ein Hoch den Schönen!
Seid freudig und preist den Glanz des Festes.
Hoch die Freude, hoch die Lust!

Nr. 14. Szene und Chor des Triquet.

LENSKI geht auf Olga zu, welche eben aufgehört hat, mit Onegin zu tanzen.
Womit hab‘ ich von Ihnen diesen Spott verdient?
O Olga, weshalb strafen Sie mich so? Was tat ich nur?
OLGA.
Ganz ohne Grund, mein Freund, trifft Ihr Vorwurf mich.
LENSKI.
O nein, Sie tanzten den Walzer, fast jeden Tanz nur mit Onegin,
Mich wiesen Sie ab, wenn ich gebeten!
OLGA.
Wladimir, wie so seltsam! Es hat ein Nichts dich aufgebracht.
LENSKI.
Nichts! Wie, das nennst du nichts?
Soll ich vielleicht gelassen und kalten Bluts
Zusehn, wie du ihm zugelächelt, kokettiert,
Ich sah euch beide flüstern, er drückte dir
Die Hand, ich sah es wohl!
OLGA.
All das ist blinde Eifersucht, Trugbild erhitzten Sinnes.
Harmlos Geplauder war's, artig ist er!
LENSKI.
Artig, so! Ach, Olga, nein, du liebst mich nimmer.
OLGA.
Laß doch den Zweifel!

Onegin nähert sich.

LENSKI.
Nein, du liebst mich nimmer!
Doch den Kotillon tanzt du mit mir?
ONEGIN.
Nein, mit mir!
Sie haben mir Ihr Wort gegeben!
OLGA.
Und ich will es halten.
Nur um Sie zu strafen, Sie Eifersücht'ger!
LENSKI.
Olga!
OLGA.
Auf keinen Fall! Ach sehen Sie,
Wie alles sich um Herrn Triquet dort drängt!

Im Hintergrunde erscheint Triquet, von Damen umringt.

ONEGIN.
Wer ist's?
OLGA.
Herr Triquet ist's, ein Franzose.
CHOR.
Monsieur Triquet! Monsieur Triquet!
Chantez de grâce un couplet!
TRIQUET.
Ick haben ein Couplet bei mir.
Mais wo sein nur Mademoiselle?

Man stellt Tatjana in die Mitte des Kreises, der von den Gästen gebildet wird. Triquet wendet sich beim Gesang an sie; sie will fort, aber man hält sie zurück.

Er müssen hier sein, hier vor mir!
Car le couplet est fait pour elle!
CHOR.
Hier ist sie! Hier ist sie!
TRIQUET.
Voilà die Königin dieser Tag!
Mesdames! Ick werden fangen an!
Mick nicht zu stören, bitt‘ ick sehr!

1. Couplet.

A cette fête conviés,
De celle dont le jour est fêté,
Contemplons le charme et la beauté.
Son aspect doux et enchanteur
Répand sur nous tous sa lueur,
De la voir quel plaisir, quel bonheur!
Brillez, brillez toujours, belle Tatjana!
CHOR.
Bravo, bravo! Monsieur Triquet!
Ganz vortrefflich ist gelungen
Das kleine, reizende Couplet.
TRIQUET.

2. Couplet.

Que le sort comble ses désirs,
Que la joie, les jeux, les plaisirs,
Fixent sur ses lêvres le sourire!
Que sur le ciel de ce pays,
Etoile qui toujours brille et luit,
Elle éclaire nos jours et nos nuits!
Brillez, brillez toujours, belle Tatjana!
CHOR.
Bravo, bravo! Monsieur Triquet!
Ganz vortrefflich ist gelungen
Das kleine, reizende Couplet.

Triquet dankt, sich verbeugend; überreicht das Couplet kniend der Tatjana.

Nr. 15. Mazurka und Szene.

DER HAUPTMANN.
Messieurs! Mesdames! Zu Ihren Plätzen, bitt‘ ich,
Im Augenblicke schon beginnt der Kotillon!

Der Hauptmann reicht Tatjana die Hand zum Tanz. Die Tanzenden ordnen sich paarweise, Onegin mit Olga vorn. Lenski steht nachdenklich hinter ihnen. Nachdem Onegin mit Olga eine Tour getanzt, plaziert er seine Dame, dann als ob er Lenski eben erst bemerkte, zu diesem.

ONEGIN.
Lenski! Du tanzest nicht? Du stehst finster,
Gleich wie Child Harold! Fehlt dir was?
LENSKI.
Wieso? mir fehlt nichts, ich staune dich bloß an,
Wie redlich du als Freund bist.
ONEGIN.
In der Tat,
Ein solch Geständnis kommt mir überraschend.
Sag‘, weshalb zürnest du?
LENSKI antwortet anfangs ruhig; nach und nach wird der Ton erbittert, aufgebracht.
Ich zürnen?
Nicht im mindesten, nur staunend sehe ich,
Wie mit Talent und seltenem Geschick
In einem Augenblick du den Mädchen
Die Köpfe verdrehen kannst.

Die Gäste hören allmählich auf zu tanzen, ihre Aufmerksamkeit auf die Streitenden richtend.

Klar ist es, dir genügt nicht mehr allein Tatjana,
Du versuchst es auch die Braut mir zu entreißen,
Störst ihres Herzens Ruh‘, und ihr Vertrauen
Verlachst du dann. O! wie edel bist du!
ONEGIN ironisch, aber ruhig.
Wie? Von Sinnen scheinst du mir!
LENSKI.
Von Sinnen! Du heißest mich von Sinnen!
Welche Sprache, dieses Wort beleidigt mich!

Man hört auf zu tanzen.

CHOR.
Hört, was gibt es?
LENSKI.
Onegin! Sie sind nicht mehr mein Freund!
Jede Gemeinschaft sei zwischen uns zu Ende.
Ich, ja, ich verachte Sie!
CHOR.
Was muß man hören, wie, ein Streit an diesem Orte,
Und es scheint ein ernster Zwist dies Fest zu stören.
ONEGIN Lenski etwas beiseite führend.
Hör‘, Lenski, nnrecht tust du mir in der Tat.
Man merkte hier, siehst du nicht, zu viel von unserm Streite,
Doch wisse, daß ich keinen Frieden noch und keine Ruhe gestört,
Und auch in Zukunft nicht stören will.
LENSKI immer mehr sich ereifernd.
Und warum hast du ihr die Hand gedrückt, ihr zugeflüstert?
Sie lachte da und wurde rot! Was hast du gesprochen?
ONEGIN.
Genug nun, das ist sinnlos, ein jeder hört uns!
LENSKI außer sich.
O, was kümmert's mich! Sie haben mich gekränkt!
Satisfaktion verlange ich!
CHOR.
So sagt doch, wie's gekommen!
LENSKI.
Bitte ein Wort nur. Von Herrn Onegin verlangt‘ ich Rechenschaft
Seines seltsamen Benehmens! doch er verweigert dies zu tun,
Und deshalb hab‘ ich ihn gefordert!
LARINA stürzt herzu und wendet sich an Lenski.
O Himmel, welche Szene! Gerade hier in meinem Hause!

Nr. 16. Finale.

LENSKI.
In diesem Hause, ja hier war's,
Wo friedlich vergingen
Meiner Jugend beglückende Zeit!
Ja hier war's,
Wo zuerst wir empfingen
Erster Liebe besel'gende Freud‘.
Doch der Traum jener seligen Stunden
Und der Traum meiner Liebe zerrann.
Wie ein Hauch ist die Freundschaft verschwunden,
Und des Lebens erschreckender Ernst blickt mich an.
ONEGIN.
Ich fühle doch Gewissenspein,
Kann nicht zufrieden mit mir sein,
Ich habe mit Wollen und mit Wissen
Das zarte Liebesband zerrissen,
Da doch mein Herz ihm zugetan,
Wie konnt‘ ich fördern seinen Wahn!
Voll Falschheit sei, den er verehrte,
Kein Mann von Ehre und Gemüt,
Mit dem ohn‘ Argwohn er verkehrte!
Zu weit ging ich!
TATJANA.
Zitternd fühl‘ ich mich erblassen,
Wie soll ich Eugens Tun erfassen.
Mich faßt der Eifersucht quälend herber Schmerz
Und das Schicksal mit grausamer Lust
Preßt mir mit Eiseshand die schmerzerfüllte Seele!
OLGA.
Ich fürchte, eh‘ das Fest geendet,
Daß zum Duell der Streit sich wendet.
LARINA.
Ich fürchte, eh‘ das Fest geendet,
Daß zum Duell der Streit sich wendet.
CHOR.
Armer Lenski! Wie erregt er ist!
ONEGIN.
Zu Diensten stehe ich, genug ist's!
Ruhig hört‘ ich Sie, Verblendeter!
Eine Lektion verdienen Sie zur Bessrung!
LENSKI.
Gut denn, auf morgen, da sehn wir, wem Lektion gebühret.
Verblendet mag ich sein, doch Sie … sind ehrlos, ein Verführer!
ONEGIN.
Wenn Sie nicht schweigen, sind Sie des Todes!

Larina, Olga und ein Teil der Gäste halten Lenski zurück. Tatjana weint. Onegin stürzt sich auf Lenski. Man bringt sie auseinander. Onegin geht zur Seite, nachdem er sich losgemacht.

CHOR.
Welch ein Skandal,
Laßt es zum Zweikampf nicht kommen,
Verhindert die beiden,
Daß Blut sie vergießen,
Wir wollen's nicht leiden.
Die Tür muß man schließen,
Laßt zum Zweikampf es nicht kommen,
Haltet sie zurück!
OLGA.
Wladimir, sei doch ruhig, hör‘ mein Flehen!
LENSKI.
Ach, Olga, leb‘ wohl, leb‘ wohl!
CHOR.
Alles vergeblich!

Lenski stürzt fort. Onegin ebenfalls eilend ab. Olga eilt Lenski nach, fällt aber in Ohnmacht. Alles eilt zu ihr.

Vorhang.

Zweites Bild.

Die Szene stellt eine, an einem mit Bäumen bewachsenen Flußufer liegende Dorfwassermühle vor. Früher Morgen. Die Sonne ist kaum aufgegangen. Winterlandschaft.

Nr. 17. Einleitung, Szene und Arie des Lenski.

Lenski und Saretzki sind schon auf der Bühne. Lenski sitzt in Gedanken versunken unter einem Baum. Saretzki geht ungeduldig auf und ab.

SARETZKI.
Nun, Lenski, wo bleibt Euer Gegner nur, wird er kommen?
LENSKI.
Sicherlich kommt er.
SARETZKI.
Doch immerhin erscheint's mir sonderbar,
's ist höchste Zeit, bald sieben schon. Ich dacht‘,
Er wartet längst auf uns!

Saretzki geht auf den Damm, fängt ein Gespräch mit dem Müller an, der eben im Hintergrunde aufgetreten ist und der ihm Rad, Steine usw. zeigt.

LENSKI in Nachsinnen versunken.
Wohin, wohin seid ihr entschwunden,
O Jugendzeit, o Liebesglück!
Was wird der nächste Tag mir bringen?
Mein Blick vermag nicht zu durchdringen,
Was mir verbirgt der Zukunft Schoß,
Was frag‘ ich? Jeden trifft sein Los,
's ist gleich, ob ich des Todes Beute,
Ob mich verschont des Gegners Blei,
Von Gott kommt alles, wie's auch sei.
Er lenkt das Gestern und das Heute,
Er sendet uns des Tages Pracht,
Er sendet uns die dunkle Nacht.
Derweil der Tag zu neuem Leben
Im Glanz des Frührots auferwacht,
Wird mich vielleicht, ach! schon umgeben
Geheimnisvolle Grabesnacht;
Wo der Vergessenheit zum Raube
Mein Name wird samt meinem Staube.
Wie bald vergißt die Welt! Doch du
Gedenkst noch mein, wenn ich im Grabe ruh‘.
Ja, kommen wirst du, weinend klagen
Und denken: mir ward einst geweiht
Die Liebe seiner Jugendzeit.
O welche Seligkeit doch gibt
Ein Strahl des Glücks nach dunklen Tagen.
Ach Olga, ich hab‘ dich geliebt.
O komm zu mir, mein Liebchen traut,
Dein Bräut'gam ruft, er harrt der holden Braut,
O komm, o komm!
Wohin, wohin seid ihr entschwunden,
O Jugendzeit, unfaßbar sel'ges Liebesglück.

Nr. 18. Duell-Szene.

SARETZKI kommt zu Lenski.
Da kommen sie! doch wer ist sein Begleiter?
Ich kenn‘ ihn nicht!

Onegin, sein Diener Guillot, der die Pistolen trägt.

ONEGIN sich verbeugend.
Verzeihung, meine Herren, wenn ich zu spät erscheine!
SARETZKI.
O bitte! Wo ist Ihr Sekundant?
Beim Zweikampf bin ich stets Pedant,
Ich lieb‘ aus Neigung die Methode;
Ich folg‘ den Regeln ja,
Dafür bin ich bekannt.
Soll der Tod des einen die Schmach des andern sühnen,
Geschehe dies nach Brauch und Recht.
ONEGIN.
Ein anderes Handeln wäre schlecht.
Mein Sekundant steht hier, Monsieur Guillot.
Ich hoffe, man hat nichts dagegen,
Obgleich er Ihnen unbekannt;
Er ist zwar nicht von Stand und Adel,
Doch sonst ein Bursche ohne Tadel.

Guillot verbeugt sich tief. Saretzki erwidert.

ONEGIN zu Lenski.
Nun, ich bin bereit.
LENSKI.
Ich steh‘ zu Diensten.

Saretzki geht mit Guillot beiseite, um über die Duellmaßregeln zu unterhandeln. Lenski und Onegin stehen sich, ohne einander anzusehen, schweigend gegenüber.

LENSKI UND ONEGIN.
Mein Feind! Seit wann trennt unser Leben
Der Feindschaft heißer Durst nach Blut,
Und haben sonst doch jedes Streben,
Gedanken, alles Hab und Gut,
Geteilt als Freunde; wie umnachtet
Von altem Haß ein jeder trachtet
Nach seines einst'gen Freundes Blut,
Und Mord sinnt jeder von uns beiden.
Ach! wär‘ Lachen nicht vernünft'ger jetzt?
Und eh‘ die Hand von Blut benetzt,
In alter Freundschaft froh zu scheiden?
Nein, nein, nein, nein!

Saretzki und Guillot haben schon die Pistolen geladen und messen den Abstand. Saretzki weist die Gegner an und übergibt ihnen die Pistolen. Alles geschieht schweigend. Der bestürzte Guillot versteckt sich hinter einen Baum.

SARETZKI.
Nun tretet an!

Schlägt dreimal in die Hände. Die Gegner, die noch nicht gezielt haben, machen vier Schritte vorwärts. Onegin erhebt, vortretend, die Pistole, gleichzeitig zielt auch Lenski. Onegin schießt. Lenski sinkt, läßt die Pistole fallen. Saretzki läuft auf Lenski zu und betrachtet ihn. Onegin stürzt zu dem sterbenden Gegner.

ONEGIN mit dumpfer Stimme.
Tot!
SARETZKI.
Tot!

Onegin faßt sich schaudernd an den Kopf.

Vorhang.

Dritter Aufzug.

Erstes Bild.

Seitensaal eines reichen, vornehmen Hauses in St. Petersburg.

Nr. 19. Polonäse.

Zum Schluß der Polonäse setzen sich die Gäste. Andere bilden Gruppen und unterhalten sich.

Nr. 20. Szene und Arie des Fürsten Gremin.

ONEGIN von rechts.
Ach kein Vergessen! Nirgend Ruhe, nirgend Seelenfrieden!
Nichts stört das ewige ermüdende Einerlei.

Dichter an die Rampe gehend.

Im Zweikampf meinen Freund getötet,
Hab‘ ohne Ziel dahingelebt.
Und nun sind viele lange Jahre
Mir freudenlos dahin geflossen,
Vereinsamt, ohne Tätigkeit,
In sorglos nicht'gem Zeitvertreib!
Nirgend konnt‘ ich ruhig weilen,
Es trieb mich des Gewissens Pein,
Die kranke Seele konnt‘ nicht heilen,
O nimmer konnt‘ ich glücklich sein,
Es trieb mich fort, ich mußte scheiden,
Den eignen Herd mußt‘ ich nun meiden,
Wo drohend mit erhobner Hand
Des Toten Schatten vor mir stand.
Ich irrte planlos in der Fremde,
Ich schweifte ohne Zweck und Ziel,
Und als das Wandern mir mißfiel,
Macht‘ ich der Fahrt ein schnelles Ende,
Müd‘, übersättigt kehr‘ ich heim,
Nicht weiß ich, was hierher mich trieb.
CHOR.
Die Fürstin Gremina!
O sehet, ja sehet!

Tatjana setzt sich auf den Diwan. Fortwährend kommen Gäste zu ihr und begrüßen sie sehr ehrerbietig.

EINIGE.
Sagt, welche ist's!
ANDERE.
Dort jene, sehet,
Sie setzte sich dort an den Tisch.
Wie hold, wie lieb, wie jugendfrisch!
ONEGIN mit steigernder Aufmerksamkeit Tatjana betrachtend.
Wär‘ es Tatjana wirklich? nein!
Wie! aus des Steppendorfes Öde?
Es kann nicht sein, sie kann's nicht sein!
Wie wunderhold, wie einfach, lieblich, und wie würdig,
Sie gleichet einer Königin!
TATJANA wendet sich an die sie Umstehenden, indem sie mit dem Blick auf Onegin zeigt, zu dem der Fürst herantritt; zum Chor.
Ach bitte, saget mir,
Wer steht dort bei meinem Mann?
CHOR.
Das ist ein Schwärmer, ein Sonderling,
Ein halber Narr, der viel auf Reisen war,
Und jetzt zurückgekehrt, es ist Onegin!
TATJANA.
Onegin?
CHOR.
Ist er Euch bekannt?
TATJANA.
Mein Nachbar war er einst im Dorf.
O Himmel, wie verberge ich,
Was mir die Seele so bewegt.
ONEGIN.
O sage, Fürst, kennst du nicht
Die Dame dort, die sich soeben
Mit dem Gesandten unterhält?
GREMIN.
Aha! du kommst wohl von der Reise?
Ich stell‘ dich vor, wenn's dir gefällt!
ONEGIN.
Doch sag‘, wer ist es?
GREMIN.
Meine Gattin ist's!
ONEGIN.
Du bist vermählt? Wie konnt‘ ich's ahnen!
Seit lange?
GREMIN.
Bald sind es zwei Jahr!
ONEGIN.
Mit wem?
GREMIN.
Mit Larinas Tatjanen.
Kennst du sie nicht?
ONEGIN.
Wir waren Nachbarn.

Arie des Fürsten.

GREMIN würdevoll, ruhig und doch mit Wärme.
Ein jeder kennt die Lieb‘ auf Erden,
Ein jeder muß ihr Sklave werden,
Der Jugend ungebrochne Kraft,
Des reifen Alters Leidenschaft;
Und wer an Liebe nimmer glaubt,
Hat sich des schönsten Schmucks beraubt.
Onegin! dir kann ich's gestehen
Unsagbar liebe ich Tatjanen!
Ich floh die Freude, floh das Glück,
Bis in des Daseins trüber Nacht
Ein Licht erschien, ein Strahl der Sonne,
Und frischer Lebensmut ist neu erwacht.
Inmitten Junger und Betagter
Und albern hohler Ziererei,
Inmitten verwegner, falscher Sklaven
Verhaßter, plumper Heuchelei,
Inmitten lächerlicher Schwätzer,
Frivoler, frevelhafter Ketzer,
Inmitten dummer Eitelkeit,
Berechnend falscher Niedrigkeit,
Inmitten feiler Bösewichter,
Umgeben von Verrat und Lug,
In einer Welt voll Hohn und Trug,
Und feigem, kriechendem Gelichter,
Da leuchtet mir gleich einem Stern
Tatjanens Unschuld hell und heiter.
Sie macht mich glücklich, macht mich reich,
Führt mich hinan die Himmelsleiter.

Nr. 21. Szene und Arie des Onegin.

GREMIN.
So komm, ich stell‘ dich meiner Gattin vor.

Führt Onegin zu Tatjana.

Mein Kind, erlaub‘ mir, den Verwandten
Und guten Freund dir vorzustellen;
Onegin ist's!

Onegin verbeugt sich tief. Tatjana erwidert einfach, ohne Bestürzung.

TATJANA.
Von Herzen freut mich's,
Wir sahn uns früher schon, doch wo?
ONEGIN.
Im Dorfe, lang ist's her!
TATJANA.
Und woher,
Willkommen! Sie kommen nicht aus unsrer Gegeno?
ONEGIN.
O nein! Ich kehrte wieder aus fernem Lande!
TATJANA.
Seit wann denn?
ONEGIN.
Seit heute.
TATJANA zu Gremin.
Mein Freund, ich bin müde.

Tatjana geht, sich auf Gremins Arm stützend und die Grüße erwidernd; Eugen folgt ihr mit den Blicken.

ONEGIN.
Ist dies denn wirklich die Tatjana,
Die sich mir heimlich einst erklärt?
Schulmeisterhaft Moral gelehrt,
Voll Tugendeifer des Verstandes
In stiller Einsamkeit des Landes,
Sie, deren Brief ich noch bewahrt,
Und deren Neigung ich verschmähte,
Ist sie es selbst, die eben da
So kalt und ruhig auf mich sah?
Es ist mir doch, als wär's ein Traum.
Was hat die Seele mir bewegt,
Das sonst so kalte Blut erregt,
Ist's Unmut, Reu?
Ich lieb‘ am Ende gar aufs neu‘?
Es ist kein Zweifel mehr, ich liebe
Mit aller Glut der ersten Jünglingsliebe,
Und sollt‘ mein Lebensglück auch enden,
Sollt‘ falsche Hoffnung mich verblenden,
Ich schlürf‘ das Zaubergift Verlangen,
Mein Traumbild lockt mich fort und fort,
Und überall, an jedem Ort
Lockt mich ihr Bild, ihr Blick.
Sie nahm die Seele mir gefangen.

Onegin ab. Der Tanz beginnt aufs neue.

Vorhang.

Zweites Bild.

Empfangszimmer im Hause des Fürsten Gremin.

Nr. 22. Schluß-Szene.

TATJANA in eleganter Morgentoilette, mit einem Briefe in der Hand.
O bang ist mir ums Herz, heut kommt Onegin,
Er stört erbarmungslos den kaum errungnen Frieden.
O, wie sein Feuerblick die Seele mir bewegt,
Qualvolles Sehnen sich im bangen Herzen regt.
Als wär‘ ich wieder das Mädchen jener Tage,
Als ich zum erstenmal ihn sah, um den ich klage!

An der Tür erscheint Onegin, er bleibt einige Zeit stehen, voll Leidenschaft die Weinende betrachtend, dann eilt er auf sie zu, fällt vor ihr nieder; Tatjana blickt ihn ohne Zorn an, macht dann ein Zeichen, er solle sich erheben.

TATJANA.
Genug nun, bitte, stehn Sie auf,
Ich werde offen mich erklären.
Onegin, denken Sie der Zeit,
Als ich im Garten bangen Herzens wartete
Auf meinen Schicksalsspruch,
Der grausam hat enttäuscht.
ONEGIN.
Erbarmen! O habt Erbarmen! Ein Irrtum war es!
Welch harte Strafe!

Tatjana wischt die Tränen ab und macht eine Bewegung, daß Onegin sie nicht unterbrechen möge.

TATJANA.
Ich stand in meinen Blütenjahren,
Ich liebte Sie mit ganzer Glut,
Doch welche Täuschung mußte ich erfahren!
Sie stießen mich mit kaltem Blut
Hinweg von sich, zu schlicht war Ihnen
Mein harmlos kindlich Herz erschienen.
Ja, ja, Eugen, Sie waren hart.
Doch jetzt – Gott! mein Blut erstarrt!
Denk‘ ich des Worts aus Ihrem Munde,
Und Ihres kalten Blicks! doch Sie klag‘ ich nicht an,
Sie taten damals wie ein Ehrenmann, ich weiß es,
Sie zeigten ehrlich sich und wahr.
Wie kalt ward damals ich behandelt,
Weil ich, der großen Welt noch fremd,
Nicht Ihrem Stolz gefiel, welch ein Wandel!
Warum verfolgen Sie mich jetzt?
Weil ich mit Glanz und äußrer Ehre
Nun in der großen Welt verkehre?
Weil mein Gemahl mich reich gemacht?
Wohl dies hat Sie hierher gebracht?
Wohl dies der Eitelkeit geschmeichelt?
Dies hat die Liebe nun entfacht.
Weil in der weiten großen Welt
Die Schande würde besprochen,
Die Schmach der Frau hat Sie gereizt,
Dies wohl hat Sie hierher gelockt?
ONEGIN.
Ach! O Himmel!
O Qual. Wie bitter treffen Ihre Worte,
Die mir mit Weh das Herz erfüllen.
Voll Sehnsucht nah‘ ich diesem Orte,
Mein ganzes Innre zu enthüllen.
Wenn du es wüßtest, teure Seele,
Wie qualvoll ich nach dir nur schmachte,
In wildem Kampfe ich mich quäle,
Dich zu besitzen einzig trachte.
O wehre du nicht dem Verlangen,
Was mich bewegt, dir zu gestehn.
Darf ich dich nimmermehr umfassen,
So muß ich ohne dich vergehn.
TATJANA.
Onegin!
ONEGIN.
Tränen, reine Perlen
Weiht meinen Leiden dein Erbarmen!
TATJANA UND ONEGIN.
Ach, wie war einst das Glück so nahe!
TATJANA.
Anders hat das Schicksal es gefügt!
Unwiderruflich ich bin gebunden,
Ihre Pflicht ist jetzt, zu gehn, mich zu verlassen.
ONEGIN.
Wir sollten uns trennen? Ich soll jetzt gehn?
Nein, an deiner Seite laß mich gehn
Und deine Sphäre laß mich teilen,
Den holden Mund, das Lächeln sehn,
In deiner Nähe laß mich weilen,
Um all den Zauber zu verstehen,
Solch reiner, blendender Vollkommenheit,

Mit steigender Leidenschaftlichkeit, sinkt vor ihr aufs Knie und ergreift ihre Hand.

Vor Liebesqual und Sehnsucht zu vergehen.
Zu sterben, das ist Seligkeit,
Ist Seligkeit und Glück und ew'ger Frieden.
TATJANA ihre Hand befreiend, erschrocken.
Onegin! wenn in Ihrem Herzen Stolz und lautre Ehre lebt,
Onegin! Ihre Pflicht befiehlt zu gehn, mich zu verlassen.
ONEGIN.
Nein, Sie verlassen kann ich nicht! Nein, nimmer!
TATJANA.
Ja, noch lieb‘ ich dich!

Tatjana sinkt in der Erregung an Onegins Brust. Er umfaßt sie, sie kommt wieder zu sich, reißt sich los.

ONEGIN.
Was sagst du, welch Zauberwort entfloh den Lippen?
O Wonne, Seligkeit, ach, so bist du Tatjana wieder!
TATJANA.
Nein, nein! Vergangnes kehrt nicht mehr zurück,
In Gremins Hand ruht mein Geschick,
Ihm schwur ich Treue am Altar,
Ich will sie halten immerdar.

Sie will gehen, sinkt aber erschöpft nieder.

ONEGIN kniet vor ihr nieder, leidenschaftlich.
Heiß mich nicht gehn, folg‘ deinem Herzen,
Das nur für mich in Liebe schlägt.
Dein Lebensglück wirst du verscherzen,
Wenn dich mein Flehen nicht bewegt.
Der uns vereint in schönrer Zeit,
Der Zufall ließ mich einst entdecken,
Daß ich ein Fünkchen Zärtlichkeit
Vermocht‘ in deiner Brust zu wecken!
So, laß uns beide daran glauben,
Kein Wahn soll uns die Freiheit rauben,
Es hält kein Band dich mehr zurück,
Entsage nicht dem höchsten Glück!
TATJANA.
O Gott, erhöre du mein Flehen,
Verleihe du mir Mut und Kraft,
Laß mich im Kampf nicht untergehen,
Im Kampfe mit der Leidenschaft!
Noch treibt's mich, seinem Wort zu lauschen,
Das mir ins Herz so glühend dringt,
Das mich mit Wundermacht bezwingt,
Die Seele ohnmächtig verloren
Muß sich daran berauschen.
ONEGIN.
Nein, verstoß mich nicht, du mußt mir folgen,
Nur an meiner Seite führet dich dein Pfad!
Komm, verlaß dies Haus, zur Einsamkeit,
Fern von der Welt, da laß uns fliehn!
O stoße mich nicht kalt zurück,
Und mir zu folgen heißt dich das Geschick,
Sei mein, auf ewig mein!

Onegin will Tatjana an sich ziehen, sie sucht sich zu befreien, verliert aber die Kräfte.

TATJANA.
Eugen, Erbarmen!
ONEGIN.
Nein, niemals, nein!
Ach, Tatjana, höre mich!
TATJANA.
Nein, nein, ich bleibe fest!
ONEGIN.
Ich liebe dich, ich liebe dich!
TATJANA.
Hinweg von mir!
ONEGIN.
Ich liebe dich!
TATJANA.
Leb‘ wohl auf ewig!

Ab.

ONEGIN.
Du bist mein!

Onegin bleibt einige Augenblicke, von Verzweiflung niedergeschmettert, stehen.

ONEGIN.
Verschmäht, verstoßen! O welch hartes Los!

Stürzt davon.

Vorhang.